Mehrere Reisewarnungen des Auswärtigen Amts, die Bombenexplosion an Bord einer russischen Chartermaschine: Über anderthalb Jahre war der Tourismus in Sharm el Sheikh nahezu tot. Taucher, die jetzt wieder auf den Sinai kommen, stoßen vor der Küste auf ein Ökosystem, dem die Pause erstaunlich gut getan hat.
Von Gastautor Linus Geschke
Alles leuchtet. Die Korallen strahlen in Rot, Gelb und Grün. Die Leiber der vorbeiziehenden Makrelen schimmern silbern, wenn das Sonnenlicht sie trifft. Nahe der Wasseroberfläche rotten sich Barrakudas zu einem glitzernden Ball zusammen und eine auffällig gemusterte Karettschildkröte stürzt sich hungrig auf Weichkorallen, die sanft in der Strömung wiegen. Hoch und runter, wie nickende Köpfe.
Das Woodhouse-Riff ist das längste der vier Riffe in der Straße von Tiran, und wer in den Zeiten des größten Touristenbooms dort war, wird es jetzt nicht wiedererkennen. Vor allem, weil es in Sharm el Sheikh kaum noch Touristen und somit auch deutlich weniger Taucher gibt.
Die von 2012 bis zum Militärputsch 2013 währende Regentschaft der Muslimbrüder, mehrere Reisewarnungen des Auswärtigen Amts und die Bombenexplosion an Bord einer russischen Chartermaschine im Oktober 2015 brachten den Tourismus in dem Küstenort vollständig zum Erliegen. Viereinhalb Jahre lang, in denen es vor Ort kaum Arbeit gab. Viereinhalb Jahre, in denen das Ökosystem Meer sich wieder regenerieren konnte.
„Die Pause hat der Unterwasserflora definitiv gut getan“, sagt Rolf Schmidt, und er muss es wissen. Gemeinsam mit seiner Frau Petra Röglin kam Schmidt bereits 1975 in den Sinai, als Sharm el Sheikh aus nichts als Wüste, Geröll und ein paar Beduinenzelte bestand. Die beiden blieben für immer dort, und die von ihnen gegründeten „Sinai Divers“ haben das Tauchen in Sharm el Sheikh in Deutschland erst populär gemacht.
Die Grenzen des Ökosystems
„In den Hochzeiten war alles zu groß, zu viel auf einmal“, erinnert Schmidt sich heute. „Ab Mitte der Neunziger Jahre konnte man sehen, dass die Riffe litten. Fünfzehn Jahre später drohten sie, vollends in die Knie zu gehen. Wir alleine hatten damals stellenweise weit über 200 Gäste an der Basis – heute sind wir froh, wenn es 30 sind.“
Rolf Schmidt ist eng mit Prof. Dr. Fricke befreundet, einem der führenden Meeresbiologen weltweit. Er weiß: „Die ökologische Tragfähigkeit der Riffe, die sogenannte carrying capacity, war in Sharm el Sheikh schlichtweg überschritten. Zu viele Badegäste, die Sonnenmilch ins Meer einbrachten. Zu viel Plastikmüll. Zu viele Lärm durch die Schiffsmotoren, die Taucher und Schnorchler an die Riffe brachten. Wenn die Tourismuskrise nicht gekommen wäre, wäre das Ökosystem irgendwann kollabiert.“
Davon ist heute nichts mehr zu sehen und selbst Experten sind verblüfft, wie schnell sich die Riffe regeneriert haben. Das liegt auch an den topografischen Besonderheiten vor Ort: Die Südspitze des Sinai ist drei völlig unterschiedlichen Meeresströmungen ausgesetzt – der des Golfs von Suez, der des Golfs von Aquaba und jener des Roten Meeres, die den Korallen konstant Nährstoffe zuführen. Dazu profitieren die Riffe von den vielen Sonnenstunden pro Tag, die ihr Wachstum begünstigen.
Weltweit ist der Zustand vieler Meere bedenklich. Korallenbleiche, Überfischung, Umweltverschmutzung – die Gründe sind vielfältig. Sharm el Sheikh ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell sich die Natur dennoch erholen kann. Wenn man sie denn lässt. Wenn der Mensch nicht eingreift, sondern sich einfach eine Zeitlang fernhält.
Besonders deutlich wird das im beliebtesten Tauchgebiet des Sinai, dem 1983 gegründeten Marine-Nationalpark Ras Mohammed. Am Shark- und Jolanda-Riff fallen die Steilwände fast lotrecht bis in eine Tiefe von mehr als 600 Metern ab. Riesige Gorgonien recken ihre Fächer in die Strömung, man sieht Massen von Papageifischen, Anthiasbarschen und Soldatenfischen. Bis zu drei Meter lange Muränen winden sich in ihren Löchern, Adlerrochen durchstreifen das Freiwasser. Auf jedem Zentimeter Riff kämpfen Hart- und Weichkorallen um ihren Platz, während Schildkröten und Tunfische die Aufmerksamkeit der Taucher auf sich ziehen.
Weniger Touristen bedeutet auch: Weniger Fische
Dabei lohnt es sich, den Blick während des Tauchgangs ab und zu ins tiefe Blau zu richten. Riff- und Seidenhaie sieht man häufig, manchmal auch einen Tigerhai oder einen Manta. Sie alle kommen wegen des reich gedeckten Tischs an die Südspitze des Sinai, der je nach Geschmack aus Fisch oder Plankton besteht. Für viele Taucher sind solche Großfische die eigentlichen Highlights: Eine einzige Begegnung mit ihnen, und der ganze Tauchurlaub hat sich gelohnt.
Trotz dieser subjektiven Eindrücke hat die Tourismuskrise dem Fischaufkommen vor Ort nicht gut getan, sagt Schmidt. „Die Taucher haben mit ihren Eintrittsgebühren den Schutz des Nationalparks ja auch mitfinanziert“, erläutert er. „Als diese dann ausblieben, nahmen auch die Kontrollen ab und die unerlaubte Fischerei zu.“
Als Tauchbasenbesitzer ist ihm illegale Fischerei ein Gräuel. Als Mensch, der dem Sinai verbunden ist, hat er dafür Verständnis. „Gerade den Beduinen brachen während der Krise ja sämtliche Einnahmequellen aus dem Tourismus weg. Sie hatten gar keine andere Option, als illegal zu fischen, wenn sie mit ihren Familien überleben wollten.“
Heute hofft Schmidt, dass die Dinge zukünftig in die richtige Balance kommen. Genug Touristen, um das Überleben des Ortes zu sichern, aber nicht mehr in jenen Massen, die das Ökosystem nicht verkraftet. „Der größte Reichtum des Sinais liegt unter der Meeresoberfläche“, meint er. „Wenn wir durch die Krise gelernt haben, zukünftig verantwortungsvoller mit den naturgegebenen Schätzen umzugehen, hatte sie am Ende doch noch etwas Gutes.“
Eine Reise zu den Sinai Divers ist buchbar über den Tauchreiseanbieter http://www.wernerlau.com
Linus Geschke arbeitet als freier Journalist für einige der führenden Magazine in Deutschland (SPON, FASZ, Unterwasser). Zudem hat er als Autor bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Mehr über ihn erfahren Sie hier
http://www.facebook.com/linusgeschke
Bildgalerie 1: Photocredits Lutz Hoffmann
Bildgalerie 2: Photocredits Rolf Schmidt, Linus Geschke
Danke für den Beitrag! Für mich ist Sharm el Sheikh auch das beste Tauchziel Ägyptens, wenn man von Safaritouren absieht 🙂
“Genug Touristen, um das Überleben des Ortes zu sichern, aber nicht mehr in jenen Massen, die das Ökosystem nicht verkraftet. ”
Ich denke es ist wie in fast allen Bereichen des Lebens. Wenn wir Menschen uns ein wenig beherrschen und nicht immer nach mehr mehr mehr streben, dann können wir alle gut im Einklang mit Tieren und Pflanzen leben ohne Ökosysteme und nötigen Lebensraum zu zerstören.
Der Beitrag ist sehr interessant und die Bilder sind traumhaft.
Wie schön, dass alles wieder leuchtet! Hach ich hoffe so sehr, dass die richtige Balance gefunden wird, wobei ich mir natürlich vorstellen kann, dass das kein leichtes Unterfangen ist.
Ich war 2014 das letzte Mal in Ägypten und nach deinem beitrag würde ich gerne sofort die Koffer packen!
Liebe Grüße
Isa